In rasantem Tempo haben sich viele Computerspiele in den vergangenen Jahren in Richtung Film entwickelt. Die bewegten Bilder dieser Spiele sind heute von so herausragender Qualität und kompositorischer Dichte, dass sie häufig kaum noch von Film zu unterscheiden sind. Überfällig ist daher eine eingehende vergleichende Auseinandersetzung mit den beiden Medien.
Die Wechselwirkungen zwischen Film und Games untersucht erstmals die gleichnamige Ausstellung (1. Juli 2015 bis 31. Januar 2016) im Deutschen Filmmuseum. Ziel der Schau ist es, zu vermitteln, wie sich Filme und Spiele ästhetisch und thematisch beeinflussen, wo es grundlegende Gemeinsamkeiten oder Unterschiede sowie ähnliche Entwicklungen gibt. Auf welche Weise erschaffen Filme und Spiele ihre Bildwelten? Wie erzeugen sie Spannungsmomente? Lösen die von den Spielern interaktiv in Bewegung gesetzten Bilder der Games das klassische Bewegtbild des Kinos ab? Oder ergeben sich aus der wechselseitigen Beeinflussung neue kreative und künstlerische Möglichkeiten für die Zukunft?
Indiana Jones and the Last Crusade (Lucas Arts/Softgold, 1989)
Übertragungen zwischen den beiden Medien Film und Videospiel verliefen bis in die 1990er Jahre vornehmlich in eine Richtung: Frühe Spiele griffen einzelne Filmszenen auf, die zu sich stetig wiederholenden Spielpassagen wurden. Ihren ganz eigenen Reiz entfaltete in dieser Epoche die reduzierte 8-Bit-Ästhetik der Pixel-Grafik, deren kultiger Retro-Charme auch von vielen modernen Spielen wieder aufgegriffen wird. Auch der Sound der frühen Videospiele zeichnet sich durch eine besonders markante Akustik aus, wie die Time Warp-Variationen des Spiels The Rocky Horror Show (CRL Group PLC, 1985) deutlich machen.
The Rocky Horror Show (CRL Group PLC, 1985)
Durch die technische Weiterentwicklung und größere Speicherkapazitäten konnte die Handlung eines Films bald umfassender übertragen werden. In Spielen wie Indiana Jones and the Last Crusade (1989) war es schon möglich, die gesamte Filmhandlung nachzuvollziehen. Die Übertragung von einem Medium ins andere bedingte natürlich auch Veränderungen. So weichen gewitzte Filmdialoge des smarten britischen Geheimagenten James Bond im zugehörigen Videospiel James Bond 007: From Russia with Love (Electronic Arts, 2005) interaktiven Herausforderungen an die motorischen und mentalen Fähigkeiten der Spielerinnen und Spieler wie der Steuerung eines Mini-Helikopters durch einen verwinkelten Lüftungsschacht.
Red Dead Redemption (Rockstar Games, 2010)
Erkundungsfahrten in ferne Galaxien, Reisen durch düstere Endzeiten, der Wilde Westen in all seinen Facetten oder epische Fantasy-Schlachten mit unerwartetem Ausgang: Genres setzen nicht nur in Büchern oder Filmen, sondern auch in Videospielen dem Geschehen einen zeitlichen und räumlichen Rahmen. Sie bieten dadurch eine Orientierungshilfe und schaffen eine spezifische Atmosphäre. Oftmals reichen minimale Merkmale und Charakteristika aus: Das Spiel Gunfight entwarf im Jahr 1975 mit wenigen Bildpunkten Kakteen, Postkutschen und Cowboyhüten und zaubert so einen Pixel-Western auf den Bildschirm.
Gunfight (Midway Games, 1975)
Red Dead Redemption (Rockstar Games, 2010)
In Videospielen zählt jedoch nicht nur das Szenario, sondern maßgeblich die Spielmechanik. Deswegen unterscheidet man bei Videospielen außerdem zwischen verschiedenen spielerischen Genre-Typen: Adventure-Sequenzen verlangen geschicktes Kombinieren, Action-Passagen ein gutes Reaktionsvermögen, Schleich-Missionen wiederum können ohne das richtige rhythmische Gefühl nicht gemeistert werden. Dramatische Standardsituationen aus Filmen wie das Schieß-Duell oder der Cliffhanger wandeln sich dabei zur Herausforderung an die motorischen und mentalen Fähigkeiten der Spielerinnen und Spieler.
Screenshot aus „Männer sind Schweine“ (Musikvideo von „die Ärzte“ R: Kai Sehr, 1998)
Fiktionale Welten beschränken sich oft nicht nur auf eine einzelne Erzählung. Häufig entwickeln sich in verschiedenen Medien ganz unterschiedliche Erzählstränge, die, unter anderem von motivierten Fans, stetig erweitert werden. Die star wars-Saga von George Lucas kann als Musterbeispiel eines transmedialen Universums gelten. Doch nicht nur in Erzählungen können Welten und Figuren transmedial erweitert werden. Auch nicht-erzählerische Medien wie Sammelbilder, Postkarten, Spielzeug oder Zeitungsberichte können bedeutende Erweiterungen darstellen.
Im Jahr 1996 brach die Abenteurerin Lara Croft in Tomb Raider erstmals zu Expeditionen auf. Schnell wurde sie zu einer der bekanntesten Cyber-Ikonen und zum kulturellen Phänomen. Sie zierte das Cover von Zeitschriften, trat in Werbespots und in einem Videoclip der Band Die Ärzte auf. In zwei Hollywood-Filmen wurde sie von Angelina Jolie verkörpert.
Die Grenzen zwischen realer und virtueller Welt verschoben sich bei Lara Croft so weit, dass die Figur durch eine Schauspielagentur vertreten wurde und Interviews gab.
Lara Croft: Tomb Raider (R: Simon West, 2001)
Im Anschluss an den großen Erfolg der Spiele, wurde die Figur der Lara Croft auch auf die Kinoleinwand gebracht. Dargestellt von Angelina Jolie wurde versucht, Welt und Stimmung der Spiele auch auf den Film zu übertragen.
Männer sind Schweine (Musikvideo von „die Ärzte“ R: Kai Sehr, 1998)
Die ungeheure Popularität der Figur Lara Croft wurde nicht nur genutzt, indem Tomb Raider verfilmt wurde. Auch Musiker nutzten Lara, um ihren Videos zusätzliche Anreize zu verleihen. Im Video zum Lied „Männer sind Schweine“ der Band die Ärzte wird Lara als starke Frau, die sich erfolgreich gegen Männer zur Wehr setzt, in Szene gesetzt.
Bravo Girl (Ausgabe 11.11.1998)
Während die Figur der Lara Croft einerseits als starke, selbstbewusste Kämpferin, die männlichen Abenteurern in nichts nachsteht, nicht nur jungen Mädchen und Frauen als Vorbild dient, wird andererseits die Darstellung ihres Körpers als sexistisch kritisiert.
Tomb Raider II (Eidos Interactive, 1997)
Im Jahr 1996 erschien mit Lara Croft – Tomb Raider der erste Teil einer bis heute andauernden Spiel-Reihe. Im laufe der Jahre wurden an vielen Stellen Änderungen durchgeführt. Neben technischen Weiterentwicklungen, die in den gewachsenen Möglichkeiten begründet liegen, fällt vor allem die Charakterisierung von Lara auf, die mit der Zeit immer realistischer wurde.
Dragon Age: Origins (Electronic Arts, 2009)
Die Interaktivität des Spiels ist ein grundlegender Unterschied zum meist linear geprägten Film. In der Gestaltung von Bild- und Klangräumen bedienen sich Filme und Videospiele zwar ähnlicher Stilmittel. Häufig entwerfen Game-Designer aber lediglich spielerische Rahmenbedingungen wie das Setting oder die Auswahl der Charaktere. Der Weg der Kamera und der dynamische Soundtrack werden hingegen maßgeblich vom Spieler beeinflusst.
Musik und Soundeffekte tragen im Kino wie im Spiel gleichermaßen zur atmosphärischen Ausgestaltung der Erzählung bei. Aufwändige Soundtracks begleiten längst nicht mehr nur Filme, sondern auch Spiele wie Dragon Age: Origins (2009) und Jade Empire (2005).
The Great Giana Sisters (Rainbow Arts, 1987)
Frühe Videospiele mit ihren eingängigen Synthesizerklängen gelten schon lange als Kult und werden bis heute immer wieder neu verarbeitet und interpretiert. Einer der erfolgreichsten und bekanntesten Komponisten von Videospiel-Melodien ist der aus Kassel stammende Chris Hülsbeck, der seit 1998 in Kalifornien lebt. Seine Musik wurde bereits mehrfach auch von großen klassischen Orchestern aufgeführt. The Great Giana Sisters ist einer seiner berühmtesten Titel:
Alien: Isolation (Sega 2014)
Für das 2014 erschienene Survival-Horror-Spiel Alien: Isolation griffen die Entwickler der britischen Firma Creative Assembly auf Originalentwürfe aus dem ersten Alien-Film von Ridley Scott aus dem Jahr 1979 zurück. Mit den typischen Science-Fiction-Set-Designs der späten 1970er Jahre entwarfen sie eine Atmosphäre, die intensiv an den Film-Klassiker erinnert.
Unweit der Stadt Alamogordo im US-Bundesstaat New Mexico bestätigte sich am 26. April 2014 eine weit verbreitete Anekdote aus der Frühzeit der Videospiele. 1983 waren dort Unmengen nicht verkaufter Exemplare des Spiels E.T. – The Extra Terrestrial und einige andere Titel der bereits finanziell angeschlagenen Firma Atari auf einer Müllhalde vergraben worden. Das Debakel um das E.T.-Spiel, das innerhalb von unglaublichen fünf Wochen von der Idee zur Fertigstellung reifen musste, bedeutete für Atari den Bankrott – und gilt als spektakulärer Wendepunkt in der Entwicklung der Videospiele-Geschichte. Für die filmische Dokumentation der für viel Aufsehen sorgenden Ausgrabung (atari – game over, 2014) begab sich Regisseur Zak Penn zusammen mit Joe Lewandowski von der Tularosa Basin Historical Society aus Alamogordo und dem Entwickler des E.T.-Spiels Howard S. Warshaw auf die Jagd nach den verlorenen Schätzen – und wurde fündig.
Die Stadt Alamogordo vergab anschließend einen Teil der geborgenen Spiele an ausgewählte Museen in der ganzen Welt – darunter das Deutsche Filmmuseum, das anlässlich der Ausstellung „Film und Games. Ein Wechselspiel“ je ein Exemplar von E.T. – The Extra Terrestrial und von dem Indiana Jones-Titel Raiders of the Lost Ark in seine Sammlungen aufnehmen konnte. Die restlichen Spiele wurden über das Internet an Fans und Sammler in der ganzen Welt versteigert.
Franka Potente in „Lola rennt“ (1997/98). Quelle: Prokino, DIF
Seit den 1990er Jahren haben Videospiele Filme in zunehmendem Maß in ihrer Ästhetik und Struktur beeinflusst. Wenn in Filmen Videospiele gespielt werden, dann ist das ein ganz offensichtlicher Hinweis auf den Einfluss von Games. Aber Elemente aus virtuellen Welten werden auch auf subtilere Art und Weise vom Film aufgenommen – nicht immer sind sie auf den ersten Blick zu erkennen. So ist die an ein Videospiel angelehnte dramaturgische Struktur von Tom Tykwers LOLA RENNT (1998) nicht für jeden sofort als solche ersichtlich. Die vielfältigen Einwirkungen und Rückwirkungen von einem Medium auf das andere lassen sich nur selten klar zuordnen.
Filme und Videospiele nutzen beide bewegte Bilder und arbeiten daher häufig mit ähnlichen Stilmitteln. So wird zum Beispiel die aus Videospielen bekannte First-Person-Kamera auch im Film verwendet, um im Zuschauer ein Gefühl direkter Beteiligung zu erzeugen. In jedem Fall wird deutlich, dass auch unabhängig von der direkten Übertragung von Videospielen in Filme ein fruchtbarer Austausch zwischen den beiden Medien stattfindet – und auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielen wird.
The Matrix (R: Wachowski Geschwister, 1999)
Die virtuelle Welt des Films kann innerhalb kürzester Zeit ihr Aussehen verändern, ebenso wie alle, die sich in dieser Welt bewegen, gewöhnliche Regeln außer Kraft setzen können.
Die Veränderung von Spielregeln und Spielwelten mit Hilfe von Editoren und Modifikationen ist bereits früh ein wichtiges Feature in Videospielen gewesen. In den letzten Jahren haben virtuelle „Spielplätze“, sogenannte Sandbox- oder Open World-Games, wie Minecraft (Mojang, 2009), in denen der Fantasie der Spielerinnen und Spieler kaum Grenzen gesetzt sind, deutlich an Popularität gewonnen.
Limbo (Playdead Studios, 2010)
Ganz ähnlich wie in der Filmindustrie hat sich auch in der Gamesbranche in den vergangenen Jahren eine ambitionierte und vielseitige Independent-Szene herausgebildet, die mit individuell gestalteten Videospielen auf sich aufmerksam macht. Mit begrenzten Ressourcen aber scheinbar grenzenlosem kreativem Potenzial schaffen sie Erlebnisse, die in Erinnerung bleiben.
Passage (Jason Rohrer, 2007)
Passage (Jason Rohrer, 2007) erlaubt es den Spielerinnen und Spielern, innerhalb von exakt fünf Minuten ein ganzes Leben zu durchschreiten. Auf dieser Reise nehmen sie ganz selbstverständliche Dinge auf eine innovative Art wahr, die zum Nachdenken anregt. Trotz (oder vielleicht aufgrund) seiner minimalistischen Grafik, erzeugt dieses Art Game eine sehr berührende Begegnung.
Limbo (Playdead Studios, 2010)
Emotional packend ist auch Limbo (Playdead Studios, 2010), das Spielerinnen und Spieler ebenfalls auf eine Reise entsendet, allerdings durch eine sehr düstere Welt, in der der Tod an jeder Stelle lauert. Die auffällige Gestaltung mit ihren Schwarz-Weiß-Kontrasten und Schattenspielen erinnert an Scherenschnitte und fällt sofort ins Auge. Limbo gibt dem Spieler keinerlei Hinweise auf den Weg, er hat nur die Möglichkeit, von links nach rechts loszulaufen und neugierig darauf zu warten, was passieren wird.
Grand Theft Auto V (Rockstar Games, 2013)
Ungefähr ab Mitte der 1990er Jahre begannen sich Künstlerinnen und Künstler mit Computerspielen intensiver auseinanderzusetzen oder auf die durch das neue Medium beeinflussten kulturellen Veränderungen zu reagieren und auf den virtuellen Raum digitaler Spielewelten mit künstlerischen Arbeiten Bezug zu nehmen. Diese neu entstehende Kunstgattung wurde mit der Bezeichnung Game Art versehen. Die sehr unterschiedlichen Kunstwerke zitieren nicht zwangsläufig Computerspiele oder deren Charaktere, sondern können auch allgemeiner über digitales Spielen, virtuelle Landschaften und Räume reflektieren. Zahlreiche Ausstellungen haben seit 1999 die ambitionierten künstlerischen Werke dem Publikum vorgestellt.
Los Santos (Grand Theft Auto V), 2015:
Other Places: Los Santos (Grand Theft Auto V) (Ultrabilliant, 2015)
Der britische Künstler Ultrabrilliant (alias Andy Kelly) begibt sich in Videospiel-Welten auf virtuelle Erkundungstouren und zeichnet dabei seine visuellen Impressionen auf. Die Bilder dieser von ihm als Other Places betitelten Videokunst-Reihe zeichnen sich durch meditative Ruhe aus und verdeutlichen das suggestive, künstlerische Potenzial vieler Spiele, das in krassem Gegensatz zu geläufigeren Klischeevorstellungen von der gewalttätigen und verrohenden Kraft von Videospielen steht. Zugleich knüpft Ultrabrillant an filmische Traditionen der Landschaftsaufnahmen, wie z.B. Godfrey Reggios bildgewaltigen Klassiker KOYAANISQATSI (1982), an.